Gift
Jahrtausende lang konnten Giftmörder ihrem heimtückischen Geschäft vergleichsweise risikolos nachgehen. Vor der Entstehung der modernen Toxikologie war der Nachweis einer Vergiftung faktisch kaum möglich – und so ist die Menschheitsgeschichte voll von Verdachtsfällen: Römischen Kaisern wie Caligula, Claudius, Nero, Domitian, Commodus oder Caracalla sagt man nach, dass sie ihre Gegner mit Gift beseitigen ließen, später waren die Borgias bekannt für den skrupellosen Einsatz toxischer Stoffe zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Im zwanzigsten Jahrhundert wurden die Methoden verfeinert, Giftmorde wurde zum probaten Mittel der Geheimdienste. Jassir Arafat, der Putin-Gegner Alexander Litwinenko oder der bulgarische Dissident Georgi Markow sind prominente Opfer ausgeklügelter Mordstrategien der Neuzeit.
Da die klassischen Gifte wie Blausäure oder Arsen heute leicht nachzuweisen sind, bedarf es einer außergewöhnlichen kriminellen Intelligenz und eines gewissen Know-Hows, um den perfekten Giftmord zu planen – dies macht die Suche nach dem Täter in einem Kriminalroman jedoch erst interessant.
Die Täterin oder der Täter in „Isarlauf“ bedient sich einer toxischen Stoffkombination: Dem Opfer, das ein Psychopharmakum im Blut hatte , wird heimlich ein weiterer Stoff verabreicht. Dies hat ein Entgleiten des Serotoninspiegels im Blut zur Folge – mit tödlicher Wirkung. Pech für die Täterin – oder den Täter, dass Quirin Quast die Symptome aus seiner klinischen Praxis kennt und Nachforschungen anstellt...
*
Schon der Titel „Giftgrün“ lässt vermuten, dass in diesem Krimi fleißig vergiftet wird. Hier einige Informationen zu den verwendeten Giftstoffen.
Die Herbstzeitlose
Die Herbstzeitlose gehört in Deutschland zu den giftigsten Pflanzen. Sie wächst vor allem auf feuchten Wiesen - zum Beispiel im englischen Garten. Schon der Name der Pflanze, Colchicum autumnale, verweist auf ihre Giftigkeit - Medea, die von dort stammte, galt in der Antike als Erzhexe und Giftmischerin.
Die Bezeichnung der Art, „autumnale“, bezieht sich auf die ungewöhnliche Blütezeit der Pflanze. Die, blassblauen Blüten zeigen sich erst ab September.
Die von Quirin Quast erwähnten Trivialnamen Nacktarsch, Nackte Hur oder Nackte Jungfer heben die Tatsache hervor, dass Blüte und Blatt der Herbstzeitlose nie gleichzeitig zu sehen sind – zum Schaden der Kräutersammler, die im Frühling Bärlauch pflücken wollen und versehentlich Herbstzeitlosenblätter erwischen.
Die Folgen sind häufig tödlich. Die ersten Symptome treten erst nach einigen Stunden auf: Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Später kommt es häufig zum Delir. Schließlich bricht der Kreislauf zusammen. Der Erkrankte stirbt an Multiorganversagen.
Herbstzeitlose und Bärlauch wachsen meist in unterschiedlichen Habitaten: die Herbstzeitlose eher in sonnigen Wiesen, der Bärlauch eher im schattigen Unterholz. Es gibt aber durchaus Standorte, an denen beide Pflanzen in unmittelbarer Nachbarschaft stehen, vor allem dort, wo der gärtnernde Mensch die Natur gestaltet. So zum Beispiel im Norden des Englischen Gartens in München, nahe dem Biergarten Aumeister. Dort findet man im Frühjahr auf Wiesen nebeneinander die frischen Triebe von Bärlauch und Herbstzeitlose. Allerdings kommt dort auch der unerfahrene Bärlauchsammler kaum in die Gefahr versehentlich Herbstzeitlosenblätter für seine Küche zu pflücken, denn die vielen Hunde der Aumeister-Gäste markieren jede Pflanze. Ein Beispiel dafür, dass Hunde im Englischen Garten zuweilen auch Nützliches tun.
Barium
Charakteristisch für Barium und seine Salze ist, dass es Flammen leuchtend grün färbt. Aus diesem Grund werden die Salze Bariumnitrat und Bariumcarbonat in der Pyrotechnik als Farbgeber in Feuerwerkskörpern verwendet.
Die grüne Farbe der Bariumflamme ist für die Geschichte wichtig. Der Titel „Giftgrün“ leitet sich davon ab.
Barium ist im elementaren Zustand metallisch-glänzend und von silbrig-weißer Farbe. Es kommt in der Natur wegen seiner hohen Reaktivität jedoch nicht elementar vor. Die klassischen anorganischen Salze hingegen sind stabil. Bariumsulfat ist praktisch unlöslich und wird als Röntgenkontrastmittel für Darmuntersuchungen verwendet. Bariumchlorid löst sich gut in Wasser. Die Lösung ist weder sauer noch alkalisch und schmeckt salzig.
Der Mörder aber macht sich eine andere Eigenschaft von Barium zunutze: In hohen Konzentrationen inaktiviert Barium die Kaliumkanäle in der Membran der Muskelzellen. Kalium kann so die Muskelzellen nicht mehr verlassen. Da die Natrium-Kalium-ATPase unvermindert Kalium in die Zellen pumpt, kommt es zum Abfall der Kalium-Spiegel im Blut. Die resultierende Hypoglykämie führt zu einer Hypermotilität des Magen-Darm-Traktes, zum Ausfall der Muskelreflexe, zu schlaffer Muskellähmung sowie Atemlähmung — und schließlich zum Tod.
Für den Laien genügt es jedoch zu wissen, dass intravenös verabreichtes Barium tödlich ist, und mit den üblichen klinisch-chemischen Analysemethoden nicht gefunden wird .